SonusDos
Janet Rühl / Arnd Müller

Kleidenschaften

Ein Stück für eine Tänzerin und einen Tänzerin der Auseinandersetzung mit Kostümen im Tanz.

Choreographie und Tanz: Janet Rühl, Arnd Müller

Kostüme: Midori Kawamura, Komposition: Edu Gur, Lichtdesign: Maik Blaum, Künstlerische Mitarbeit: Andrea K. Schlehwein, Fotos: Mirko Milovanovic

Konzeption:

Ausgehend von dem am eigenen Körper erfahrenen Bewusstsein, dass jedes Kleidungsstück die Bewegung in einer bestimmten Weise beeinflusst, gehen wir mit dem Stück einen Weg der ungewöhnlich ist, insofern, dass die Kostüme bei Probenbeginn schon fertiggestellt waren. Besonders im Tanz reduziert sich das Kostüm für die Stücke eher darauf, ob es praktisch ist, als auf den Aussagecharakter für das Stück. Das für den modernen Tanz gängige kurze Kleidchen für die Frau und das Hemd mit Bundfaltenhose für den Mann, taucht sowohl in Tanztheaterstücken, in abstrakten zeitgenössischen Tanzstücken, sowie in modernen Balletten, völlig losgelöst von der Thematik des Stückes auf.

Die Kostüme müssen hauptsächlich die Bewegungen der im Trainingsgewand entstandenen Choreographien der Tänzer ermöglichen und lassen oft scherenschmeißende Kostümbildner zurück, die ihre konzeptionellen Pläne, dehnbaren Stoffen und kurzen Kleidchen opfern. Im Tanz erzählt die Bewegung und nicht das ihn umgebene Gewand, ist ein oft erwähntes Argument aus dem Tänzermund. "Ich kann doch diese und jene Bewegung nicht machen in einem langen Kleid, mein Bein nicht heben...", sagt die Tänzerin. Sagen wir auch. Und genau das ist der Ansatz unseres Stückes: "Was sind das für Bewegungen, die in bestimmten Kleidungen nicht möglich sind? Welche Bewegungen entstehen in für den Tanz ungeeigneten Kostümen?"

Zusammen mit unserer Kostümbildnerin wählten wir drei, verschiedene Bereiche repräsentierende "Alltagskostüme" aus:

Das eine Kostüm entspricht der Trainingsklamotte: weit, robust, weich, unempfindlich, wohlig, bequem. Das andere Kostüm ist das Elegante, die Abendgarderobe: edel, figurbetont, anliegend, empfindlich. Das dritte Kostüm ist kein Kostüm, ist die Haut: sensitiv, intim, persönlich, direkt, ungeschützt, nackt.

Mit diesen drei Kostümen, gingen wir über mehrere Wochen improvisierend und forschend in den Probenraum, um zu diesen Kleidungen entsprechendes Bewegungsmaterial im Solo und Duett zu schaffen. Es entstanden drei Duette und zwei mal drei Solochoreographien, benannt: Robust, Elegant und Nackt. Diese neun zwischen 3 und 5 Minuten langen Tänze bilden die Grundlage für unser Stück.

Die elegante, durch langes Abendkleid und Anzug, doch sehr starr und steif anmutende, Choreographie mag in den passenden Kostümen noch ihre Berechtigung haben. Doch wird das Kostüm gewechselt und diese Bewegungen ohne Kostüm - nackt, oder im weiten strapazierfähigen Kostüm getanzt, so werden die Bewegungen abstrahiert und lassen das Bewegungsmaterial neu erkennen und interpretieren.

 

Natürlich wirkt dann das im grobem Kostüm geschaffene Material nackt getanzt, äußerst provozierend und verletzlich. Im eleganten Kostüm ist diese jede Bewegungsfreiheit benötigende Choreographie des Robusten gar nicht tanzbar, ohne das elegante Kostüm zu zerfetzen.

Neben der Herausarbeitung von passenden Bewegungen für das jeweilige Kostüm, wollen wir auch achtsam mit uns und unseren Kostümen umgehen. Wir wollen keine Naht - oder Schamgrenze achtlos überschreiten und kein Kleid zerreißen oder uns selbst nackt vor dem Publikum. Die Arbeit hierin besteht in der Begutachtung des Bewegungsmaterials daraufhin: Was ist wie tanzbar? Wie ist die, durch Bodenrollen, Hebungen und Sprünge dominierende robuste Choreographie in einem eleganten empfindlichen Kostüm zu tanzen? Welchen Charakter bekommt die feine körperbetonte  Bewegungsstudie des Nackten, wenn es in dem den ganzen Körper einhüllenden "Arbeitsdress" getanzt wird? Oder die Elegante nackt oder robust?

Um nun eine Geschichte aus dieser als Forschungsarbeit angefangenen Idee zu entwickeln, wechselten wir in den Duetten auch noch die Kostüme so, dass nicht beide Tänzer immer den selben Stil tragen. So ergibt sich, dass die elegante Choreographie von ihr im Trainingsgewand getanzt wird und er nackt tanzt, oder sie im Abendkleid und er im Trainingsgewand, oder dass die Nacktchoreographie von ihr nackt und von ihm im Anzug getanzt wird, oder sie im Abendkleid und er im Trainingsdress.

Insgesamt gibt es 27 Variationen zu denen noch 18 von den Solis hinzukommen. Das ergibt Material in einer Länge von ca. 3 Stunden. Aus dieser Fülle haben wir unser Stück entwickelt. Ein Stück das die Geschichte eines Paares erzählt, in verschiedenen Situationen: Verdreht, passend, ungelenk, harmonisch, komisch, berührend.

Für  uns  liegt  die   Faszination  in  dem  Zauber,  dass   sich  die Geschichten aus den jeweiligen Kombinationen ergeben. Es entstehen absurde und schöne Momente, getragen von den charakteristischen Choreographien und den gewechselten Kostümen: Mann nackt, tanzt mit Frau im Abendkleid ein elegantes Solo, so der Beginn unseres Stückes... gegen Ende werden dann Beide im Trainingskostüm die Nacktchoreographie tanzen, bis sie sich ihrer Kleider entledigen und nackt Nackt tanzen und noch nackt Robust und sie im Trainingsdress ihr Nackt Solo und er im Anzug sein Nackt Solo.

Die Geschichten daraus entstehen, oh Wunder, von selbst.

Premiere: Projekttheater Dresden, November 2001, Länge: 60 min